Wie Märklin-Qualität nicht sein sollte
, von Friedhelm Weidelich (Kommentare: 5)
Es ist noch nicht lange her, als ich beim Schienenbus Qualitätsprobleme bemängelte. Beim VT fehlte eine Schraube, ein Achslager hing deshalb schräg unter dem Wagen. Nach dem Eintreffen der Ersatzschraube stellte sich heraus, dass das Gewinde im Fahrzeug zu groß war und die Schraube gar nicht halten konnte. Der Beiwagen war so miserabel montiert und innen verstaubt, dass ich ihn umtauschen musste. Was Märklin ohne ein Wort des Bedauerns tat. Das Porto wurde nicht erstattet. Die fehlenden Haken für die Schraubenkupplungen sind bis heute nicht nachgeliefert.
Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass die matte und raue Lackierung nicht dem geplanten Endzustand entspricht, sondern dass man sich einfach den matten Decklack gespart hat. Denn alle anderen Modelle kamen seitdem mit einem Mattlack daher, der die Oberfläche unmerklich glänzen lässt und schützt.
Auf der anderen Seite muss man wohl dankbar sein, dass der Schienenbus so geliefert wurde, denn die gekauften Märklin-Spur-1-Produkte fielen mir immer wieder durch eine Lackschicht auf, die ich als "wolkig" bezeichnen würde. Also nicht gleichmäßig aufgetragen, sondern mal etwas dicker und mal etwas dünner, so dass die Grundlackierung kaum abgedeckt war.
Wer sich einmal mit der Airbrush beschäftigt hat, weiß aus Erfahrung, dass das Spritzen von Lack nicht auf Anhieb gelingt. Man braucht etwas Übung, einen richtig "eingestellten" (verdünnten) Lack, Öl- und Wasserabscheider, gleichmäßigen Luftdruck, eine ruhige Hand und einen makellos sauberen Spritzgriffel. Dazu eine Umgebung mit Absaugung, die so sauber und staubfrei ist wie ein Operationssaal.
Das Spritzen muss man lernen, und die Ergebnisse sind erschütternd schlecht. Nein, sie sind sogar miserabel für einen Industriebetrieb, der Luxusgüter in Serie produziert: nämlich teure Eisenbahnmodelle mit Qualitätsanspruch.
Es liegt selten am Personal, wenn unzureichende Leistungen erbracht werden. Wer womöglich schlecht eingearbeitet wird, ist nicht motiviert und kann keine Spitzenleistungen erbringen. Und diese sind bei Eisenbahnmodellen gefordert, weil es sich nicht um billiges "Spielzeug" handelt, wo es nicht so auf Qualität ankommt. Es sind teure Industriegüter, die nicht selten mehr als einen Wochen- oder gar Monatslohn kosten. Und deshalb müssen sie makellos sein. So makellos, wie es eine ernsthafte Industrieproduktion erlaubt. Oder würden Sie einen Kratzer auf Ihrem neuen Auto oder dem TV-Display akzeptieren, weil es eine Serienproduktion war, wo es schon mal kleine Macken geben kann?
Als Märklin noch in Göppingen produzierte, war Qualität noch Standard. Beeindruckend, wie da Frauen mit dem Pinsel kleinste Fehler im Lack ausbesserten. In China war Qualität schon seltener, obwohl die Chinesen es können, wenn man sie gut kontrolliert. Der Schienenbus aus Györ war nicht unbedingt ein Beleg für gute Qualität.
Das muss Gründe haben. Vor drei Wochen kamen direkt aus Györ diese Märklin-Pressefotos auf den Bildschirm:
Schauen Sie sich einmal die Produktionsbedingungen an (in der Galerie unten ist das Bild noch einmal größer zu sehen). Als Zwischenlager werden da drei alte Paletten verwendet, die man mit Spanplatten zusammengenagelt hat. Sie werden mit einem Hubwagen befördert. Dabei wackeln die dicht an dicht stehenden bedruckten Modelle und können sich aneinander reiben. Und ab und zu kippt auch mal ein Modell um oder liegt auf der Seite. Professionell ist so eine Produktion nicht. Dass es in China noch primitiver zugehen mag, ist keine Entschuldigung für diese sorglose interne Logistik.
Hinten rechts stehen übrigens die Spur-1-Schnellzugwagen, die man beim Händler vorsichtshalber genau untersuchen sollte. Der rote Zug ist der LGB-Allegra der Rhätischen Bahn, UVP 1.500 €.
Dieses Märklin-Bild gibt Auskunft darüber, wie in Györ gearbeitet wird: Im Märklin-Hemdchen, aber ohne Baumwollhandschuhe. Auch auf einem anderen Bild arbeitete die Mitarbeiterin ohne Handschuhe. So entstehen Fingerabdrücke auf den großen Modellen, wie sie sich auch auf den in China produzierten Donnerbüchsen reichlich fanden.
Meine beiden verkratzten, miserabel lackierten Donnerbüchsen aus China, die ich unten im Detail zeige, hätten bei einer wirksamen Qualitätskontrolle gar nicht in den Handel kommen dürfen.
Die Bildergalerie zeigt Fotos von zwei Donnerbüchsen, die ich von einem Händler bezogen habe. Es sind, wenn man so will, Stichproben, denn der Händler hat sie, wie sie von Märklin kamen, an mich weitergeschickt. Die Fotos machen deutlich, dass der noch feuchte Mattlack zum Beispiel auf den Dächern Stöße abbekommen hat. Die grünen Wagenkästen sind zum Dach hin nicht sauber gespritzt. Die Spritzpistole hatte Aussetzer, der Lack deckt nicht gleichmäßig. Teilweise sind Fussel eingeschlossen. Über die Seite eines Wagens läuft eine dunkle Linie. Dort könnten sich zwei Gehäuse berührt haben und der Lack hat sich gestaut. An anderer Stelle ziehen sich mehrere Kratzer über die Seite und bis in ein Fenster hinein. Es sind nicht alle Fehler, die hier gezeigt werden. Nicht alle sind auf Anhieb sichtbar, manche fallen nur in bestimmtem Winkeln zur Lichtquelle auf. Trotzdem ist es keine hinnehmbare Qualität bei einem 300-Euro-Modell.
Der braun lackierte Boden hat Kratzer (Bild 21). Jeweils einer der acht Bremsschuhe streifte bei beiden Wagen am Rad.
Die Böden wurden offenbar nach dem Spritzen nicht entfettet und vom Trennmittel der Spritzgießmaschine befreit. Das erklärt die vielen hellen Flecken, wo keine Farbe anhaftete. Vielleicht scheuerten auch andere Teile am Lack.
Ein Türfenster ist schräg eingeklebt. Das Toilettenfallrohr des Bi-28 sitzt schräg.
Ein Bekannter packte gestern fünf Donnerbüchsen aus und stellte an jedem Wagen zum Teil noch schlimmere Kratzer und Lackierungsfehler fest. Der eine waagerechte Streifen an der Seitenwand wiederholte sich sogar.
Nobody's perfect – doch bei einer professionellen Industrieproduktion, wie man sie aus anderen Branchen kennt, gibt es Qualitätskontrollen, die dafür sorgen, dass schon bei der Herstellung des Rohmaterials möglichst wenig schief geht und das Endprodukt nur dann verpackt wird, wenn es in Ordnung ist und die internen Standards erfüllt.
Ich habe den Eindruck, dass solche Regeln bei Märklin nicht immer gelten. Wie anders könnte sonst eine Baureihe 103 mit unpräzise bedruckter Dachkante und schlecht eingepassten Türen und Fenstern das Haus verlassen. Oder eine LGB-E10 ohne die obligatorischen Schienenschleifer. Die grüne bayerische Mallet, die ohne die hinteren Leitern ausgeliefert wurde. Eine LGB-Köf mit schrag montiertem Führerhaus, und was man sonst noch so hört. Auch die in spur1info vorgestellten Märklin-Modelle fielen immer wieder durch Mängel in der Beschriftung und Montagefehler auf.
Märklin bestreitet in einem Schreiben, dass es auffallende Qualitätsmängel gibt, spricht von nicht überprüfbaren "Einzelfällen" und schreibt wörtlich: "dass jedes Produkt, welches unter der Qualitätsmarke Märklin vertrieben wird, unseren Qualitätsansprüchen genügen muss." Die von mir "pauschalisierend dargestellten Qualitätsmängel" bestünden tatsächlich nicht. Zitat: "So führen wir im Rahmen unseres Qualitätsmanagements eine sehr genaue Statistik hinsichtlich Qualitätsrügen, und wir sind stolz darauf, dass nur eine sehr geringe Anzahl von Mängeln festgestellt werden."
Nachtrag: Ein Leser, der anonym bleiben will, schickte ein Foto. Es zeigt, dass der Decoder im Packwagen 58194 mit zwei Stückchen Tesafilm befestigt wurde und sich wieder löste. Vermutlich, weil die Wand wegen der nicht entfernten Trennschicht nicht zum Kleben geeignet ist. Das deckt sich mit den Erfahrungen, die andernorts diskutiert wurden.
Schon bei früheren Modellen hätte Märklin den Decoder aber besser im Toilettenraum versteckt. Dort war er an derselben Stelle festgeklebt und durch die geöffnete Tür sichtbar:
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Kommentar von Christian Müller |
Hallo Herr Weidelich,
zählen Sie einmal die Allegra-Triebköpfe auf der "3-Stock"-Palette. Auf der obersten Lage fehlt bereits ein Triebkopf. Vermutlich ist dieser während der internen Logistik-Leistungen bereits heruntergefallen......
Im selben Bild erkennt man im Hintergrund die hochpreisigen (im Vergleich zum LGB-Modell) Spur 1 Personenwagen. Auch dort stehen dei Wagen dicht an dicht - vielleicht eine Erklärung für die Kratzer.
Viele Grüße
Christian Müller
Kommentar von Robert Deopito |
Lieber Herr Weidelich,
Schockierend wie und was da in Ungarn produziert wird, und dass dies noch in Pressefotos kommuniziert wird, ist eigentlich ein Skandal.
Schade was aus Tante M. geworden ist.
Schönen Tag aus Wien,
Robert Deopito
Kommentar von Jürgen Reichenwallner |
Sehr geehrter Herr Weidelich,
Ihr Bericht deckt sich mit den Eindrücken, die ich vorletztes Jahr während meines Urlubs bei einem Besuch in Györ gewonnen habe. Das Navi führte mich in ein sehr unwirtliches Gelände am Stadtrand von Györ und nachdem ich mich überwunden hatte, das Auto auf einem "Parkplatz" abzustellen, der eher einem Bombenkrater glich, traf ich auf dem Werksgelände von Märklin zunächst auf eine recht mürrische Portiersfrau, die mir schließlich aber doch die Richtung zum Fabrikshop wies. Dort war dann der einzige Lichtblick eine sehr freundliche junge Dame, die allerdings ihre Verwunderung darüber nicht zurückhalten konnte, dass überhaupt jemand den Weg zu ihr gefunden hatte. Der übrige Eindruck vom angebotenen Warensortient war ernüchternd. Einen großen Teil der Ladenfläche nahmen Regale mit Artikeln der Fa. Noch ein. Der Rest war mit H0-Ware, mit LGB-Modellen und einer riesigen Pyramide von "My World"-Packungen gefüllt, die offensichtlich aus dem letzten Weihnachtsgeschäft übrig geblieben waren. Dass in diesem Werk auch Spur 1-Artikel gefertigt werden, war nur anhand von zwei bis drei älteren Modellen zu erahnen, die sich in einer Vitrine unter diversen LGB-Artikeln versteckten. Zum Kauf wurde kein einziges Spur-1-Modell angeboten, was wohl lediglich meine mich begleitende Ehefrau (die ich schon auf größere Ausgaben vorbereitet hatte) angenehm überraschte....
Was ich damit sagen will: wie sollen die in diesem Werk Beschäftigten, deren Motivation sich ohnehin in Grenzen halten dürfte, in diesem Milieu, in dem in erster Linie niedrigpreisige Ware fabriziert wird, gerade im Zusammenhang mit Spur 1- Artikeln plötzlich ganz andere Qualitätsstandards anlegen (können). Nach meiner Meinung müßte die Spur 1-Produktion auf jeden Fall aus Györ wieder abgezogen werden. Ob im Übrigen Herr Bächle der richtige Mann ist, die Produktion in Györ in den Griff zu bekommen, kann im Hinblick auf die bisherige Entwicklung bezweifelt werden.
Kommentar von U-E Wandel |
Tja, solche Mängel sind mir auch bekannt, bei Märklin hat man aus der Insolvenz gar nichts gelernt, wenn jetzt so weiter gemurxt wird, wird Märklin eines Tages nur noch als Murxlin in den Geschichtsbüchern stehen.
Kommentar von Michael Bettighofer |
Hallo Herr Wiedelich,
die Bilder sprechen wirklich für sich! Man muss sich die Frage stellen: Wer ist für solche Mängel verantwortlich?
Hier ist zum einen die Qualitätskontrolle wohl eher dem Kunden überlassen und das gewisse Fertigungsgrundlagen einfach nicht umgestzt werden liegt an den zuständigen Fachleuten und Vorgesetzten vor Ort.
Hier muss Märklin dringend etwas unternehmen, gerade weil man einen Weltruf genießt und diesen nicht durch fehlende Baumwollhandschuhe und Co aufs Spiel setzen sollte.
Ich möchte aber auch einen anderen Aspekt mit ins Spiel bringen.
Was erwarten wir eigentlich!?
Sei es China oder sonst wo auf der Welt, werden Produkte hergestellt durch Menschen, die sich diese nie im Leben leisten können. Diese Menschen haben teilweise ein anderes Verständnis von Qualität, zumal sie den Markt für den sie produzieren überhaupt nicht kennen.
So unter dem Motto...ich wurschtel hier was zusammen aber keine Ahnung was hier für Ansprüche gestellt werden durch die Kundschaft!?
Sicherlich alles immer sehr ärgerlich, wenn Produkte fehlerhaft sind...aber manchmal wundert es mich nicht mehr. Wir haben es mit anderen Mentalitäten zutuen.
MADE IN GERMANY....stand nicht umsonst für Spitzenprodukte!
MFG
Michael