Patinierung am praktischen Beispiel
, von Friedhelm Weidelich (Kommentare: 0)
Mein Foto (oben) von 1971 zeigt beispielhaft, wie Züge damals aussahen: Der aufgewirbelte Staub, Bremsstaub und Flugrost kleben am Tender der 38er. Die roten Farben sind ausgebleicht und mit demselben Gemisch bedeckt wie der Tender. Kalkspuren und Rost sind mit etwas Fantasie erkennbar.
Und der Wagen? Trotz Epoche IV ist er 1971 noch nach "Epoche III" beschriftet, die Wagennummer steht noch oben zwischen den Fenstern. Unten wurde der Wagenkasten schon einmal frisch gestrichen – wahrscheinlich, um Rostansätze zu beseitigen. Das Dach hat Ruß angesammelt, der mit dem Regenwasser in Streifen abgelaufen ist. Hochgeschleuderter Staub und Rost bedecken in unterschiedlicher Intensität die Fahrwerksteile und Seitenwände. Das war die Realität, wie sie auf Schwarzweißbildern nur schwer erkennbar ist und deshalb so oft vergessen wird bei unserem High-End-Hobby mit vorbildnahen Landschaften, aber blitzblanken Maschinen und Wagen.
Ich habe Teile meines amerikanischen Wagenparks in 1:20,3 patiniert und weiß, wie schwer das ist. Zugleich ist es reizvoll, denn man kann sich Gedanken machen über physikalische Phänomene: Wo wird Staub aufgewirbelt, wo setzen sich Staub und Flugrost ab, wo treten Fett und Öl aus, wo platzt die Farbe ab, welche Teile sind von der Sonne ausgebleicht?
Bei Modellen, die draußen dem natürlichen Verschleiß ausgesetzt sind, ist die Hemmschwelle nicht so groß. Es sind quasi "Nutzfahrzeuge".
Die weit teureren Spur-1-Modelle sind dagegen für viele Kunden Sammlermodelle, die auf ewig neu aussehen sollen. Dem Vorbild entsprechen zwar die fein lackierten und bemalten Teile einer Lok und eines Wagens, aber das Modell insgesamt entspricht bestenfalls der Idealvorstellung eines Modells. Das Fehlen von Staub, Schmiermitteln, Rost und Verschleiß reduziert das Modell auf ein Serienprodukt im Neuzustand oder auf einen Museumsgegenstand ohne Leben. Ein Eisenbahnmodell sollte aber patiniert sein, um auf einer naturgetreuen Landschaft nicht als Fremdkörper zu wirken.
Weil das Patinieren zumindest kunsthandwerkliche Fähigkeiten und vor allem viel Erfahrung erfordert, kann man seine Modelle einem erfahrenen Patinierer überlassen. Die leuchtenden Farben sind schnell gebrochen, ein seidenmatter Schmutzfilm lässt sich mit viel Erfahrung mit der Airbrush rasch aufbringen. Auch die dünne Soße, die in die Ritzen läuft, macht Profis keine Mühe.
Doch reicht so eine Art "künstliche Dunstglocke" über dem neuen Modell aus? Die schon etwas heruntergekommene Schiebelok der Baureihe 194 zeigt, dass man ohne Fotos und viel Nachdenken über den Einfluss von Wind und Wetter nicht über ein passables Ergebnis herauskommt. Mein Foto von 1971 in Aschaffenburg zeigt nicht nur ausgebesserte Farbflächen, sondern den typischen Belag auf den Lüftungsgittern. Denn hier strömt staubige Luft aus und ein. Auf dem Sandkasten setzt sich Staub oben ab, auf dem Druckluftbehälter fast rundum. An den Puffern klebt (immer!) Fett. Und der Rahmen zeigt sogar, dass die Lok in einer Richtung gewöhnlich schneller fährt (bergauf, in Richtung Betrachter) als in der anderen. Die Lok ist alles andere als gleichmäßig mit Rost und Staub bedeckt. Das perfekt im Modell nachzuahmen, ist eine große Kunst.
Uwe Römer (Noblerod) gehört zu den Könnern, die die Patinierung beherrschen. Ein paar Bilder wurden bereits hier gezeigt. Auf dieser Website von Gerald Ehrlich wird Schritt für Schritt gezeigt, wie eine ziemlich schlecht gepflegte 50er Schritt für Schritt entsteht. Als eine der Vorlagen dient ein Foto von mir, das ich am Ende der Dampfzeit in Rottweil aufgenommen habe.
Die Fotos dort können etwas täuschen. Nach meiner Erfahrung sehen patinierte Modelle auf Fotos immer leicht übertrieben gealtert aus. Aber das Modell ist auch noch nicht fertig.
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