EK-Special Vectron

, von Friedhelm Weidelich (Kommentare: 0)

tl_files/bilder/Medien/PA162415.jpgSiemens ist mit 368 verkauften Loks der Marke Vectron in Europa sehr erfolgreich.

Der EK-Verlag hat der formschönen, modular aufgebauten Lokomotivfamilie ein Sonderheft gewidmet. Es hat leichte Schwächen, ist aber als Momentaufnahme und Basislektüre durchaus brauchbar.

Die BLS hat sie, man sieht sie in Italien, Polen, Österreich, Norwegen, Finnland, der Schweiz, in der Tschechischen Republik, in Schweden, Bulgarien, Slowenien, natürlich auch in Deutschland und immer mehr Ländern Europas. Der Vectron von Siemens, Zweitbelegung der Baureihe 193, zieht Güterzüge durch Europa und in geringerem Maße auch Personenzüge. Die Universallok ist als Elektrolok sehr erfolgreich und auch als dieselelektrische Lok verfügbar. Für die Dieselvariante werden noch Kunden gesucht.

tl_files/bilder/Medien/P6298993.jpgDas Erfolgsrezept von Siemens ist die Modularität. Die Autoren sind offenbar Ingenieure, die genau diesen marketingtechnischen Aspekt kaum vermitteln. Siemens baut die Loks in München-Allach auf Vorrat – zunächst aus der Not heraus, um Arbeitsplätze zu sichern. Doch schnell erwies sich das als Vorteil gegenüber Mitbewerbern: Die Lieferzeit beträgt dadurch kaum mehr als ein halbes Jahr. Branchenüblich sind eher zwei Jahre.

Das ist zu lang für die Güterbahnen, die europaweit im Wettbewerb stehen und sich auf die immer noch vielfältigen Zugsicherungs- und Stromsysteme einstellen müssen. Denn häufig werden Züge über Ländergrenzen hinweg befördert. Leasingfirmen wie MRCE stellen passende Loks zu Verfügung. Aber auch ehemalige Staatsbahnen wie die polnische PKP kaufen Mehrsystemloks für Verkehre ins und im Ausland.

Früher wurden Loks für den Kunden individuell geplant und ausgebaut. So hatte jeder Auftrag einen langen Vorlauf, eine andere Ausrüstung und Verkabelung, die Aggregate wurden immer anders eingebaut. Das Revolutionäre an der Vectron-Familie ist die Modularität: Jede Komponente hat einen festen Platz links und rechts des Mittelgangs. Wird sie nicht benötigt, sorgt ein Gewicht an der Leerstelle für einen ausgewogenen Lokkasten. Die Lokomotiven können also weitgehend vorgefertigt werden: Ein Lokkasten, zwei Köpfe, zwei Dächer mit zwei bis vier Stromabnehmern, zwei Drehgestelle. Die Kabelbäume sind immer gleich. So bleibt man bei der Endfertigung und später im Betrieb flexibel. Es ist sogar möglich, in wenigen Tagen Einsystemloks in Mehrsystemloks umzubauen oder ein Diesel-Modul für die "letzte Meile" einzufügen. Entsprechender Platz steht auch für Zugsicherungssysteme und Antennen zur Verfügung.

Das wird im 98 Seiten starken Sonderheft oft nur gestreift oder umständlich beschrieben und ist doch so wichtig für den Erfolg des Vectron. Kleinigkeiten sind dann noch die wechselnden Schreibweisen des Taurus, die ständige Wiederholung des Begriffs Frontend für die Köpfe und die Unklarheit, ob in Finnland mit 1520 mm (seit etwa 1970 gültige russische Breitspur) oder 1524 mm* (alte russische Breitspur) gefahren wird, gehören zu den Schwachpunkten des Hefts, bei dem ein wenig mehr redaktionelle Überarbeitung und Aufmerksamkeit angebracht gewesen wären. Auch vermaßte Zeichnungen fehlen.

Trotzdem gibt das reich bebilderte Heft einen guten Überblick über die Entstehung des Vectron und seiner Vorgänger. Kaufen sollten es alle Spur-1-Hersteller, die die Epochen III und IV für die Zukunft halten. Empfehlenswert ist es auch für aufgeschlossene Anbieter, die die Modularität des Vorbilds kostensparend ins Modell umsetzen wollen – denn die Bahnindustrie ist da schon viel weiter als die meisten Modellbahnanbieter und ihre chinesischen Auftragshersteller. Auch die vielen "Folierungen" (Folien-Beklebungen) und Lackierungen wären ein Quelle für viele Varianten. 210 Lokomotiven fahren bereits, und fast täglich werden es mehr.

Wer diese formschöne Lokfamilie kennenlernt, wird sich ihrem Bann und ihrer farbigen Vielfalt kaum noch entziehen können. Eine europaweit einsetzbare Lok würde auch der Spur-1-Szene einen Impuls geben, die Zukunft der Modellbahn nicht zu verschlafen, wie es momentan zu befürchten ist.

tl_files/bilder/Medien/P9130553.jpgMeine Fotos zeigen den ersten Vectron (den ich auch zwei Runden fahren durfte) 2010 im Siemens Prüf- und Validationcenter Wegberg-Wildenrath und eine ELL-Leasinglok im Spätsommer 2016 in Hannover am Mittellandkanal.

* Unterlagen des finnischen Netzbetreibers Finnish Transport Agency belegen: Finnland hat die Spurweite 1524 mm.

EK-Verlag

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