Ein spannendes Jahr für die Spur 1

, von Friedhelm Weidelich (Kommentare: 6)

Nach einem enttäuschenden Jahresende mit leerem Modellbahnbeutel lohnt sich ein Blick auf das neue Jahr. Denn die Spur-1-Branche wird sich neu formieren.

Der Markt steht vor einer Neuverteilung der Gewichte.

Vorbei sind die Jahre, als Märklin wie selbstverständlich die Marke war, die Kunden zum ersten Mal mit der Spur 1 in Berührung brachte. Die Marke Märklin stand fast 150 Jahre lange für Qualität, technische Innovationen am Puls der Zeit und Lieferfähigkeit. Wer seit eineinhalb Jahren auf 10°-Weichen aus dem Hübner-Programm wartet, weil Märklin nicht liefern kann, sieht sich woanders um. Wenn Lieferlisten monatlich völlig umgekrempelt werden und die viel zu vielen Neuheiten immer wieder um ein Jahr verschoben werden, sinkt das Vertrauen. Wenn dann noch Mondpreise kalkuliert und viele Modelle nach kurzer Zeit schon billig verschleudert werden müssen, weil sie anspruchsvolle Kunden nicht überzeugen, ist der Weg zum Nostalgieobjekt nicht mehr weit: Mit Märklin verbinden sich schöne Erinnerungen an „früher“. Ein Objekt der Begierde ist Märklin heute nur noch für wenige Kunden.

 

Auch wenn Insolvenzverwalter Pluta tönt, der Verkauf von Märklin sei erst 2014 fällig, wird er wohl bis März 2013 über die Bühne gehen. Eine Verkündung des Deals mit Simba-Dickie zur Spielwarenmesse Ende Januar wäre ein idealer Zeitpunkt, weil dann auch die Medien nach Nürnberg schauen. Beim lieblosen Spur-1-Sortiment wäre eine klare Ausrichtung mehr als notwendig. Dass im kommenden Februar und März kein einziges Spur-1-Modell ausgeliefert werden soll, muss nichts bedeuten. Doch wenn Märklin nicht endlich registriert, dass man bei der Spur 1 an allen Fronten (Preis, Qualität, Innovation, Marktnähe) mit ehrgeizigen Mitbewerbern zu kämpfen hat, wird die Flop-Rate weiter steigen. Und das kann sich Märklin am allerwenigsten leisten.

 

Leisten kann sich auch Kiss nicht mehr viel. Denn die Ende September aus heiterem Himmel angekündigte Neustrukturierung öffnete Spekulationen Tür und Tor. Wochenlang rätselten die Kunden, ob die vorbestellten Modelle noch geliefert würden oder verklausuliert eine Betriebsaufgabe signalisiert werden sollte. Erst am 14. November herrschte Klarheit: Ein paar Modelle kommen im 1. Quartal 2013, die 95 rutschte ein Jahr weiter in den Herbst 2013. Am 12.12.12 kam die Ankündigung, dass die Kesselwagen Ende Januar geliefert werden sollen. Und „noch in diesem Monat“ (Dezember 2012) sollte ein Fragebogen zu den Wunschmodellen der Kunden veröffentlicht werden.

 

Veröffentlicht wurde der Fragebogen bisher nicht. An der Homepage wurde ein wenig herumgebastelt, immerhin werden die demnächst lieferbaren Modelle gezeigt. Die schon im Sommer oder im November gestrichenen Modelle wie die 5620 und die 80 stehen noch immer auf der Homepage. Kiss wird viel solide Kommunikationsarbeit aufbringen müssen, um das verlorengegangene Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Das Interesse an Kiss hat spürbar nachgelassen. Die Kunden warten ab. Auf welcher Messe die Ende 2013 lieferbare 988 zum ersten Mal gezeigt werden soll? Vielleicht im Sommer in Sinsheim? Dann könnte es schon im 3. Quartal mit der Lieferung klappen. 2014, versteht sich.

 

Kommen wir zu den neuen Anbietern: Spur-1.at wird wohl bald das österreichische Krokodil ausliefern. Neben der Schweiz, die seit jeher mit edelsten Kleinserienmodellen verwöhnt wurde, entwickelt sich der österreichische Markt. Die gemeinsamen Jahre im Dritten Reich sind für einen neuen Hersteller eine Chance, denn Lokomotiven und Wagen wurden über die Länder verstreut und blieben auch nach dem Krieg oder wurden, wie die E 94, sogar in Österreich nachgebaut.

 

Aber auch die Bahntechnik der k&k-Monarchie, die eine ganz andere war als die deutsche, bietet viele Chancen. Die eleganten Dampfloks von Gölsdorf und Giesl-Gieslingen fuhren auch in vielen Ländern Osteuropas, wo sich ganz langsam Märkte für die Spur 1 entwickeln werden. Wer hier keine Berührungsängste hat, muss sich nicht völlig auf den größten, aber auch am stärksten umkämpften deutschen Markt fokussieren. Da Spur-1.at auf bewährte Hersteller zurückgreifen kann, darf von Anfang an hohe Qualität erwartet werden. Der „Bremen“ bietet die Chance, auf Anhieb die Kunden in Deutschland und Österreich für sich zu gewinnen.

 

Wie 2013 überhaupt ein Güterwagen-Jahr werden könnte. Zwar ist von Hübner-Neuauflagen nichts in Sicht, doch dieses eher vernachlässigte Segment bietet neben der Lokomotivenflut noch reichlich Potenzial: Güterwagen sind meist kurz und nicht so teuer. Dafür ist noch Platz zuhause, und zwei bis fünf 100-Euro-Scheine sitzen schnell mal locker für einen Spontankauf – sofern dann noch etwas am Lager ist.

 

Zwei Güterwagen also von Spur-1.at, vielleicht die Kesselwagen von Wunder, zumindest ein O-Wagen von Fine Models, ein ganzer Schwung Güterwagen von KM1, ein oder zwei von Spur 1 Russia und welche von Brawa? Nein, Brawa ist zwar sehr erfolgreich mit Spur-Null-Güterwagen, die fast jeder von uns gern in 1:32 hätte – in gleicher Qualität, zu moderaten Preisen aus Kunststoff. Der eine oder andere Brief an Herrn Braun könnte vielleicht helfen.

 

Ambitioniert ist der Plan von MBW, mit einer aggressiv kalkulierten V 2001 mit Kunststoffgehäuse in den Markt einzusteigen. Die Konstruktion und Kalkulation erfordert hohe Stückzahlen, und es gab ja schon einmal beide V 200. Aber es ist auch ein Klassiker, den man haben muss. Jetzt wird es darauf ankommen, tatsächlich dieses Jahr in ordentlicher Qualität zu liefern und den notwendigen Service bieten zu können. Ob die E 50 als zweites Spur-1-Modell allerdings eine so gute Idee ist, wage ich zu bezweifeln. Ein neuer Hersteller täte gut daran, sich abseits der DB-Epochen III und IV umzusehen. Warum nicht ein ES64U2 oder 4 (in Österreich: Taurus) oder ein Vectron von Siemens? Eine Traxx-Lok von Bombardier oder eine europaweit einsetzbare Diesellok von Vossloh? Neue Märkte brauchen neue Angebote, kein Me-Too.

 

Sehr ruhig ist um die neuen Anbieter aus Norwegen und Dänemark geworden. Null Information gegenüber den Medien ist nicht gerade verkaufsfördernd. Aber ich will ja nicht jammern über Digitalfotos mit 12 Jahre alten 1,5-Megapixel-Kameras, veraltete Homepages und die völlige Ignoranz gegenüber den Fachmedien – die dann eben nicht berichten. Zum Hinterherlaufen und Erahnen von Neuheiten fehlt uns schlicht die Zeit.

 

Neben den Spur-1-Edelschmieden wie Dingler, Fine Models, Wunder und den Schweizer Pendants, die in gewohnter Qualität ihre Marktsegmente bedienen werden, steht nach zehn Jahren Aufbauarbeit einer nahezu unangefochten als Vollsortimenter da: KM1. Was Märklin verloren hat, findet sich hier: Innovationskraft, hohe Qualität zu moderaten Preisen, Spaß an der Kommunikation mit dem Kunden, Service und ein fast lückenloses Angebot – Gleise, Signale, Gebäude, Figuren, Schienen- und Straßenfahrzeuge und Zubehör.

 

Nobody's perfect. Auch bei KM1 gibt es Lieferverzögerungen, Macken an einzelnen Exemplaren oder zu schnell ausverkaufte Modelle für spät Entschlossene. Doch KM1 hat die Spur 1 erschwinglich gemacht und zehn Jahre durchgehalten – eine großartige Leistung in diesem kleinen Spur-1-Markt, der langsam weiterwachsen wird.

 

Das wird gefeiert: Mit der Baureihe 82 bringt KM1 2013 ein hervorragendes Modell zu einem Preisleistungsverhältnis auf den Markt, das unschlagbar ist. Es ist eine der vielen guten Perspektiven für das Jahr 2013, in dem die Karten neu gemischt werden.

 

Eins ist sicher: Spannender als 2012 wird die Spur 1 im Jahr 2013 auf jeden Fall.

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Kommentar von Jens Klose |

Hallo Herr Weidelich,

Schöner Beitrag. Trifft den Nerv der Zeit. Langsam besinnen sich die Hersteller auch mal, das es nicht nur DB Epoche III gibt. Das Problem was ich allerdings erkenne, das keiner dieser Hersteller bis auf Tante M selbst produziert. Die Produktionskosten steigen in Asien momentan rasant, so das es über kurz oder lang bei den Modellen Veränderungen in Preis und Qualität geben wird. Lassen wir uns überraschen, was dieses Jahr so passieren wird.

Mit bestem Gruß

Jens Klose

Antwort von Friedhelm Weidelich

Hallo Herr Klose,

sehr richtig. Die steigenden Produktionkosten und die mangelnde Loyalität und Stabilität vieler chinesischer Firmen werden bestimmt für unangenehme Entwicklungen sorgen. Wenn dann noch Mindeststückzahlen verdoppelt werden, droht eine Flut von unverkäuflichen Modellen oder eben der Weg zurück zur Kleinserie zu hohen Preisen. Momentan fehlen aber noch Alternativen bzw. halten die Anbieter an China fest. In ein paar Jahren wird unsere Luxusgüterindustrie – und nichts anderes sind hochwertige Modellbahnen – die nächste Metamorphose bewältigt haben müssen.

Danke und beste Grüße,

Friedhelm Weidelich

Kommentar von Ralf Heil |

Hallo Herr Weidelich
ein sehr guter Beitrag, endlich jemand aus dem journalistischen Bereich der keine "Hofbericht-Erstattung" betreibt, sondern mit ehrlichem Blick auf die Hersteller die Situation beschreibt. Ich kann Ihnen nur beistimmen, dass auch der Blick als Kunde der Spur1 sich für mich genau so darstellt. Weiter so... Ich werde ein Print-Medium abschaffen, weil mir diese Haltung dort fehlt. Das ist die Aufgabe für uns Journalisten (bin auch einer), Ross und Reiter zu benennen, sowohl im Positiven, als auch im Negativen. Ein gutes neues "Betriebs-Jahr"..
R. Heil

Kommentar von Oliver Stepat |

Guten Tag Herr Weidelich
Danke für den Hinweis, dass sich die Hersteller auch aktuellen Epochen widmen sollten, diese fehlen quasi gänzlich! Die Welt erneuert sich stets, die Eisenbahn auch, nur die Spur1-Szene scheint in Epoche III-IV stehen geblieben zu sein. Wie will man Nachwuchs für die Spur1 generieren, wenn stets nur olle Dampfloks und zweiachsige Güterwagen aufgelegt werden? Die ES64US und die TRAXX Loks in all ihren Varianten wie sie grenzüberschreitend eingesetzt werden mit passenden Wagen hätten ihren Platz im Markt. Ausgerüstet mit aktueller Digitaltechnik ist ein modernes Triebfahrzeug in Sachen Sound genauso interessant und spannend, auch wenn kein Heizer Kohle schippt und kein Zylinderdampf austritt…

Freundliche Grüsse
Oliver Stepat

Kommentar von Dr. Wolf |

Guten Tag,

Danke für diese treffende Analyse des derzeitigen Standes im Spur 1-Markt auf Anbieterseite.

Den (leider) zwei eher kritischen Anmerkungen stehen doch eine deutliche Mehrzahl positiver Ansichten und Aussichten gegenüber.

Man kann nur allen Herstellern Glück und Erfolg wünschen, daß die ins Auge gefaßten Projekte auch so umgesetzt werden können, daß beide Seiten zufrieden sind.

Einige Bemerkungen zur E 50 möchte ich aber noch machen. Ich finde die Wahl dieses Vorbildes sehr gut, und zwar aus folgenden Gründen:

* Die E 50 war die stärkste E-Güterzuglok der DB in Epoche 3, und fehlt bis dato leider noch immer.

* Die mit Sicherheit sehr schöne Lok der Fa. Wunder läuft nur bis zu Radien bis max. 1400 mm, und liegt preislich im oberen Segment.

Beide Punkte schließen die Erreichbarkeit und Anwendungsmöglichkeit für viele Interessenten aus.

* Die Firma Kiss (bisher dominierend im E-Lok-Sektor), hat die Ankündigung wieder zurückgenommen.

* Eine möglicherweise zu erwartende E 50 vom Großserienhersteller hätte wahrscheinlich dieselben Ausprägungen, wie die derzeit lieferbaren kleineren "Familienmitglieder" aus der Neubaulok-Familie.

Insofern halte ich, auch in Anbetracht des angekündigten Preises, diese bekannte, aber noch fehlende Lok durchaus für erfolgversprechend.

Was die Loks der Epoche 5 und 6 angeht: deren große Zeit wird kommen, aber stückzahlmäßig wohl erst in 30-35 Jahren. Denn dann hat die Mehrzahl derer, die sich dafür interessieren, die notwendigen räumlichen und finanziellen Möglichkeiten, um sich diese Epoche in der Erinnerung nachzubauen. So wie das heute die meisten 1-er mit der Epoche 3 tun.

Im Moment dominiert die Epoche 3 noch deutlich (nach seriösen Angaben ca. 60 %), gefolgt von 4.

Mit freundlichen SPUR 1 Grüßen,  Dr. Wolf

Kommentar von Cor de Jong |

Dear Sir,

I'am new in the gauge 1 world. For years modelling in 0 gauge but the gauge 1 models impressed me and a visit at the Sinsheim exhibtion gave me the spirit to go into the gauge 1 too. Your Spur1info is for me the information source to find more information about gauge 1.
Go on with the good work. I visit your website everyday.

Kind regards,

Cor de Jong The Netherlands.

Kommentar von E.Kim |

Hallo Herr Weidelich,
Danke für den schönen Beitrag, der viele Hersteller vielleicht auch zum Wandel bezüglich Ihrer Produktangebote bewegen könnte!
Ich muss aber eins bemerken. Für die meisten Spur 1- Hersteller ist die Gefahr einfach zu groß, eine Lok, die erst seit Ep4 oder p5 gelaufen sind, auf den Markt zu bringen. Nach meiner Erfahrung ist das Marktsegment noch zu klein. Eine Ep1- oder Ep2-Lok ohne Ep3 läuft nur im hochpreisigen Segment, wenn auch sehr schleppend. Eine Ep4- oder Ep5-Lok würde einen NEUEN Hersteller, rein wirtschaftlich gesehen, gleich zur finanziellen Ruine führen.
Ein anderes Problem stellt das Urheberrecht der Originalzeichnungen dar, die 30 Jahre lang dem Hersteller versteckt gehalten werden. Es ist sehr schwierig, an sie zu kommen, wenn auch man später keine Probleme bekäme. Manche Firmen verbieten, dass ihr Logo auf dem Modell gedruckt wird oder stellen dem Modellhersteller gegenüber unverschämte Forderungen.
Ich wünsche mir auch, dass sich die Situation rasch verändert. Vielleicht bringt irgendein Hersteller in absehbarer Zeit eine Überraschung. In dem Sinne viel Erfolg für das neue Spur1-Jahr!
E.Kim

Antwort von Friedhelm Weidelich

Lieber Herr Kim,

vielen Dank für Ihre fundierten Erläuterungen. Ich habe inzwischen mehrere Gespräche geführt, die wie auch der Kommentar von Dr. Wolf (leider) bestätigen, dass die Epochen 4 und 5 noch wenig nachgefragt werden. Steigt man mit einem günstigen Großserienmodell ein, muss man in der Tat so hohe Stückzahlen produzieren, dass man sie nicht verkaufen kann. Ich glaube aber, dass der Markt schon in zehn Jahren anders aussehen wird, denn (wie ich) sucht ja fast jeder die Favoriten seiner Kindheit. Ein heute 40Jähriger wird schon den ICE 1 oder eine 120 als Zeuge seiner Kindheit betrachten, wenn er in 10, 20 Jahren zum Spur-1-Hobby kommt. Wer noch die Reichs- oder Bundesbahn erlebt hat, wird bis dahin vielleicht schon nicht mehr leben.

Das Problem mit den Zeichnungen ist in der Tat ein gravierendes. Ich habe ja beruflich viel mit der Bahnindustrie zu tun und merke dort nicht viel Begeisterung, wenn es um die Unterstützung der Modellbahnindustrie geht. Die Lizenzgebühren sind für Kleinserienhersteller in 1:32 schwerer zu finanzieren als bei Großserienherstellern. Zum Teil ist es der wirtschaftliche Druck, oft aber auch die knappe Personaldecke und Angst vor dem Mitbewerb, der die Kooperationsbereitschaft der Bahnindustrie bremst.

Auch wenn wir es alle gern einfacher hätten, so bewegen wir uns auch bei der Spur 1 in einer hochkomplexen Welt mit wirtschaftlichen Zwängen. Zwangsläufig wird sich der Markt mit den Jahren verändern und verschieben. Wenn man die Entwicklung der Renten ansieht, kann die Branche eines nicht zu fernen Tages auch zu einer extrem teuren Luxusgüterindustrie werden, die nur noch kleinste Auflagen verkaufen kann.

Freuen wir uns also über das, was wir haben und lassen wir die Zukunftsperspektiven nicht aus den Augen. Danke für Ihre guten Wünsche und Ihnen und Fine Models ein erfolgreiches Jahr mit nur positiven Überraschungen!

Beste Grüße,
Friedhelm Weidelich