Aus gegebenem Anlass
, von Friedhelm Weidelich
Eine ganze Menge! Es sind extremistische Leserbriefschreiber, schreibt Arno Frank in seinem kompakten Büchlein mit dem schönen Titel „Meute mit Meinung – Über die Schwarmdummheit“. Sie haben die einst sachlichen, die lobenden, aber auch ihr Wissen herauskehrenden und die skeptischen Leserbriefschreiber abgelöst. Der extremistische Schreiber ist immer auch Experte sui generis, schreibt Frank. „Wut ist sein Antrieb. ... Den fraglichen Text empfindet der Experte grundsätzlich als Skandal.“ Und so kommt es auf kürzestem Weg zu Ausfälligkeiten, die die Debatte über den Text vergiften – sofern nicht rechtzeitig eingegriffen wird.
So ist das tagtäglich fast in allen Foren, wo sich „Experten“ mit ihrem vermeintlichen oder tatsächlichen Wissen gegenseitig zu übertrumpfen versuchen und Andersdenkende für doof erklären. Kluge Moderatoren greifen mäßigend ein, andere lassen auch persönliche Angriffe und Beleidigungen zu, die Straftatbestände erfüllen. Wer sich wehrt, wird mit einem Shitstorm überschwemmt oder zur Unperson erklärt. Die Meute beißt zu wie ein Schwarm hirnloser Piranhas und weiß am Ende nicht mehr, worum es eigentlich ging. „Je dicker der Hals, desto kürzer die Lunte.“ Von Intelligenz keine Spur. Brothers in asinity.
Einsam am PC haben die Meinungsterroristen ihre ganze Dummheit und Aggressivität herausgebrüllt und fühlen sich stark, weil andere Dumme ihre Meinung bestätigt haben. Eine Meute, vor der kluge Menschen Reißaus nehmen, um sie kühl zu ignorieren. Denn ein Dummkopf kann nicht begreifen, dass er dumm ist, selbst wenn man es ihm zu erklären versucht. Argumenten ist die Meute nicht zugänglich. Mitglied einer Meute zu sein, gibt Lebenssinn. Für ein paar Minuten oder wenige Stunden jedenfalls.
Frank beschreibt weiter völlig korrekt: „Dabei kann der Autor des Ursprungstexts noch von Glück reden, wenn die zunächst ihm nachsetzende Meute sich zuverlässig bald selbst an die Gurgel geht.“ Zum Eingreifen ist es dann zu spät. Piranhas könne man nicht mit warmen Worten zur Umkehr bewegen.
Leider haben die Kommentare zum Bockholt-Packwagen eine ähnliche Form angenommen. Ein teures Produkt, das keiner von uns je in der Hand gehalten hat, wird da als Unverschämtheit charakterisiert und einige schlagen sich in wiederholten Wortmeldungen schier den Schädel ein, wenn es jemand wagt, für Bockholt oder Bockholt-Kunden Partei zu ergreifen.
Würden Sie Ihrem Nachbarn vor die Tür kacken, weil er eine S-Klasse oder einen Porsche fährt und Sie sich („nur“) einen Dacia oder Golf leisten wollen oder können?
Nicht viel anders und auf unterirdischem Niveau waren die meisten Kommentare zur kurzen Modellvorstellung. Und deshalb sind die Kommentare jetzt weg und keine mehr zugelassen.
Ich stelle Ihnen hier virtuell mein Wohnzimmer zur Verfügung und lade Sie quasi zum kostenlosen Kaffee ein (den manche auch überreichlich und ohne ein Wort des Dankes genießen). Deshalb darf ich als Gastgeber höflichst darum bitten, nicht in die Ecke zu scheißen und die Wände mit Dreck zu bewerfen! Wenn Sie woanders zu Besuch sind, benehmen Sie sich doch wohl wie ein zivilisierter Mensch – oder etwa nicht?
Der Digital Native, also der Internetbewohner, hat sich in Foren, Online-Magazinen und Zeitungsseiten eingerichtet und lebt dort aus, was er im Real Life nicht mehr kennt: Persönliche Kontakte, konstruktive und freundliche Gespräche mit Freunden und Menschen, die dasselbe Hobby haben und gemeinsam nach Lösungen suchen. Und was er am Basteltisch nicht zustandebekommt, weil es an Fähigkeiten, dem richtigen Werkzeug oder der Geduld fehlt, wird durch Maulheldentum in Internet ersetzt. „Ich bin davon überzeugt, dass einige in den Foren keine einzige Spur-1-Lok besitzen“, schrieb mir kürzlich ein nachdenklicher Leser. Doch woher kommt die latente, lauernde Aggressivität gegen andere Menschen?
Mit offenem Maul durch das Internet-Meer
Der Buchautor hält es für keinen Zufall, dass heute nicht mehr vom Internetsurfen die Rede ist, wenn es um die anonymen Nutzer digitaler Kommunikationsformen geht. „Nicht auf, sondern unter der Oberfläche verortet sich der Digital Native“, schreibt er. Und weil ich Wortspiele liebe und die Weltbilder der Internetbewohner manchmal etwas schlicht sind, lasse ich gern das T im zweiten Wort weg.
Das Bild, das der Autor zeichnet, ist einfach köstlich: „Ruhig klickend gleitet er frei dahin und nährt sich von dem unbezahlt umherschwirrenden Nachrichten- und Unterhaltungsplankton, das ihm wie von selbst ins weit geöffnete Maul treibt. Alarmiert taucht er erst dann auf, wenn ihm bei seinen submarinen Streifzügen im geistigen Dämmerzustand plötzlich etwas Unverdauliches zwischen die Kiemen kommt. Dann macht er sich bemerkbar. Dann fängt er an, zu singen und mit den Flossen zu schlagen, um möglichst viele Artgenossen zu Hilfe zu rufen. Der Schwarm ist versammelt, das Gemetzel kann beginnen.“
Hier jedenfalls nicht mehr. Unsachliche Kommentare, aggressive Tonlagen und persönliche Angriffe gegen andere Leser und Firmen kann und werde ich nicht dulden. Zumal ich presserechtlich dafür die Verantwortung trage. Derartige Kommentare, die meist null Information enthalten und nur dem persönlichen Abreagieren sinnloser Aggressionen dienen, werden nicht veröffentlicht. So schon immer nachzulesen in der Bedienungsanleitung für spur1info.
Wer sich über die Meute, das Entstehen von Shitstorms und die ungeheure Aggressivität der Kommentarschreiber in den asozialen Medien, Foren und Kommentarspalten informieren will, sollte das Buch lesen, in dem jeder Satz ein Treffer ist. Es schaut tief in die menschliche Psyche und ihre Untiefen.
Einen Rat gibt Arno Frank am Ende: „Es gilt, die Meute ins Leere laufen und das Raubtier in uns verhungern zu lassen. Wir haben für beides keine Verwendung mehr.“