Velaro Novo – Ist das die nächste ICE-Generation?

, von Friedhelm Weidelich (Kommentare: 0)

tl_files/bilder/Vorbild2/Velaronovo/seeitnovo.jpgAuf einer internationalen Pressekonferenz stellte Siemens Mobility in dieser Woche vor, was es auf der Innotrans im Herbst Neues geben wird. Seit Wochen rätselten Eisenbahnfreunde, was es mit dem weiß-blauen Testwagen #seeitnovo auf sich hat. Das Neue ist schon unterwegs. Mit dem Wagen wird das Konzept des Velaro Novo von Siemens erprobt – womöglich die nächste ICE-Generation.

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Sabrina Soussan. Foto: Friedhelm WeidelichFür Sabrina Soussan, CEO der Mobility-Division von Siemens, ist der Velaro Novo "eine Antwort auf die globalen Anforderungen im Hochgeschwindigkeitsverkehr und eine Plattform mit einzigartig optimierten Energieverbrauch und Wartungsaufwand, bei maximaler Flexibilität und Zuverlässigkeit." Bei 300 km/h soll der neue Zug bis zu 30 % weniger Energie benötigen als der Einsystem-Velaro TR, wie er zuletzt in die Türkei geliefert wurde.

Der aerodynamisch optimierte Hochgeschwindigkeitszug ist für Spitzengeschwindigkeiten von 250 km/h bis 360 km/h ausgelegt und enthält viele interessante technische Lösungen, die in einem Hintergrundpapier für Journalisten beschrieben sind. Ich zitiere daraus die wesentlichen Teile:

>> Die bedarfsgerechte Ausstattung des Velaro Novo sorgt für zusätzliche Kapazität, ohne Kompromisse beim Thema Reisekomfort einzugehen. Die neue Fahrzeugplattform erlaubt darüber hinaus skalierbare Zugkonfigurationen und bietet große Flexibilität, um Kundenwünsche zu erfüllen und sich ändernden Anforderungen zu stellen. Der Velaro Novo entspricht selbstverständlich den aktuellen Anforderungen und Normen, insbesondere der Technical Specification for Interoperability (TSI).

Innovatives Zugkonzept

Der neue Hochgeschwindigkeitszug von Siemens vereint die Erfahrung von drei Velaro-Generationen seit dem 2005 ausgelieferten Velaro E für Spanien (AVE S103). Die weltweit über 1.000 Velaro-Züge sind bisher über zwei Milliarden Kilometer gefahren mit Geschwindigkeiten von bis zu 380 km/h, täglich kommen rund eine Million Kilometer hinzu. Der neue Triebzug Velaro Novo basiert auf der seit dem ICE 3 bewährten verteilten Traktion, er ist als Ein- oder Zweisystemzug (15 kV / 25 kV) realisierbar und hat eine Traktionsanlage für Höchstgeschwindigkeiten von 250 km/h bis 360 km/h. Entsprechend verfügen die Triebzüge über Antriebsleistungen von 4.700 kW bis 8.000 kW. In siebenteiliger Ausführung erreicht der Velaro Novo eine Länge von 202 m und kann sowohl in Einzel- als auch in Doppeltraktion betrieben werden. Außerdem steht eine 404 m lange 14-teilige Version zur Verfügung.

Herausragende Energieeffizienz

Mit dem Velaro Novo baut Siemens auf der Velaro-Erfolgsgeschichte auf – und schreibt sie durch Innovationen im Bereich Energieeffizienz fort. Bei 300 km/h benötigt der neue Hochgeschwindigkeitszug 30 Prozent weniger Energie als bisherige Velaro-Modelle, jährlich spart er 1.375 Tonnen CO2 ein. Eine wesentliche Voraussetzung für die erhöhte Energieeffizienz und die damit deutlich reduzierten Lebenszykluskosten ist die konsequent verbesserte Aerodynamik. Die vollverkleideten Drehgestelle reduzieren den Energieverbrauch um etwa 15 Prozent und senken die Lärmemissionen. Die strömungstechnisch weiter optimierten Endwagen mit einer stärker geneigten Frontfläche tragen ebenso wie die außenhautbündigen Wagenübergänge zu einem deutlich reduzierten Fahrwiderstand bei und verringern so den Energieverbrauch um zehn Prozent. Auch die Hochspannungsanlage auf dem Dach ist vollverkleidet und trägt zu einer Verbesserung der Aerodynamik bei. Darüber hinaus ist der Velaro Novo gegenüber den bisherigen Velaro-Generationen um über 15 Prozent leichter.

Neue Profil- und Schweißtechnologien für die Wagenkästen, massetechnisch optimierte, innengelagerte Drehgestelle, neue Bordnetzumrichter und der Einsatz innovativer Werkstoffe und Konstruktionslösungen sind nur einige der Entwicklungen, die zu einer Reduktion des Zuggewichts um über 70 Tonnen führten. Innengelagerte Drehgestelle haben sich bei den in Großbritannien eingesetzten Desiro-City-Triebzügen bewährt und wurden für den Velaro Novo mit den Erfahrungen der Velaro-Drehgestelle kombiniert und weiterentwickelt. Die Lauf- und Antriebsdrehgestelle sind durch die innengelagerten Radsätze erheblich leichter und gewährleisten durch ihre geringere ungefederte Masse eine bessere Laufruhe und weniger Verschleiß.

Verschleißarmer und kosteneffizienter Betrieb

Auch der Instandhaltungsaufwand wird bei dem neuen Zug deutlich reduziert. Die laufend erfassten Zustandsdaten des Fahrzeugs können analysiert und für gezielte Handlungsanweisungen für die vorausschauende Planung von Instandhaltungsarbeiten im Sinne einer zustandsorientierten Wartung ausgewertet werden. Durch die elektrische Hochleistungsbremse mit Bremswiderstand erfolgen Betriebsbremsungen weitgehend verschleißfrei. Der Instandhaltungsaufwand bei der pneumatischen Bremsanlage wird so deutlich reduziert.

Flexibles Innenraumkonzept

Die Wagenkästen des Velaro Novo sind in Leichtbaustruktur ausgeführt und folgen dem Prinzip der leeren Röhre. Das bedeutet, dass keine festen oder unverrückbaren Einbauten vorhanden sind und sich die Innenräume nach den Vorstellungen des Kunden einrichten lassen und im Lauf der Zeit geändert werden können, wenn sich die Ansprüche ändern. Die Wagen kommen ohne Untersitzcontainer oder Elektronik-Schränke im Fahrgastbereich aus. Trotz der Wagenlänge von 28,75 Metern, die wegen des einzuhaltenden Lichtraumprofils einen schmaleren Wagenkasten nach sich zieht, konnte gegenüber dem Velaro bei gleichem Sitzkomfort eine um 11 Millimeter vergrößerte Gangbreite von 535 Millimetern realisiert werden. Für den Einsatz auf Strecken mit größerem Lichtraumprofil steht eine Variante mit breitem Wagenkasten und damit möglicher 2+3-Bestuhlung zur Verfügung. Internetversorgung, Fahrgastinformationssysteme, Bordentertainment sowie Sicherheitsüberwachungssysteme (CCTV) können den Kundenanforderungen entsprechend integriert werden.

Konsequente Erprobung

Seit April 2018 erprobt Siemens die Innovationen des neuen Hochgeschwindigkeitszugs. Ein Einzelwagenerprobungsträger, integriert in den ICE S der DB Systemtechnik, absolviert derzeit Testfahrten in ganz Deutschland. Die Erprobung findet unter verschiedenen Betriebsbedingungen statt, bei denen unter anderem das Verhalten des Wagenkastens und der Drehgestelle aufgezeichnet und analysiert wird. Diese Daten dienen der projektunabhängigen Erprobung und Absicherung der wesentlichen Fahrzeugeigenschaften.

Zukunftssicher und nachhaltig

Der Velaro Novo von Siemens ist eine konsequente Weiterentwicklung von drei Velaro-Generationen. Zahlreiche Innovationen im Detail machen den neuen Hochgeschwindigkeitszug zu einem einzigartigen, hocheffizienten Fahrzeug, das bis zu 30 Prozent weniger Energie verbraucht und die Investitions- und Instandhaltungskosten deutlich reduziert. Gleichzeitig wurde der verfügbare Platz um zehn Prozent gesteigert. Der Velaro Novo ist durch sein Prinzip der leeren Röhre und durch zahlreiche Konfigurationsmöglichkeiten zukunftssicher und lässt sich auch noch nach Jahren im Betrieb an neue Vorstellungen und Anforderungen der Betreiber flexibel anpassen.<<

Mit diesen Kennzahlen, sagt Siemens, setze der Velaro Novo einen neuen Maßstab im Hochgeschwindigkeitsverkehr auf der Schiene. Zumindest in Europa und den USA dürfte es keine bessere Alternative auf dem Markt geben.

Einer der Projektleiter sagte, dass man natürlich mit allen Kunden über den neuen Zug spreche, nicht nur mit der DB AG. Gut möglich, dass wir hier schon den ICE 5 sehen. 2023 soll der erste Velaro Novo bei künftigen Kunden in den Fahrgastbetrieb gehen. Bedarf besteht aber zum Beispiel auch in Kalifornien.

Die Eisenbahn- und Mobilitätssparten von Alstom und Siemens wollen 2019 fusionieren. Dass Alstom auch Hochgeschwindigkeitszüge anbietet, gilt nicht als Hindernis, zumal Siemens schon seit 2013 am Velaro Novo arbeitet. "Bis zum Abschluss der Fusion sind wir Konkurrenten", sagte Sabrina Soussan. Die gebürtige Französin gab sich bei der Frage, ob ihr der TGV oder der Velaro besser gefalle, diplomatisch: "Politisch korrekt würde ich sagen: Mir gefallen beide."

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